Deutschland erlebt einen beispiellosen Stimmungseinbruch. Das ist die zentrale Erkenntnis der jährlichen Allensbach-Untersuchung zur „Generation Mitte“.
Vor einem Jahr, inmitten des zweiten Corona-Herbstes, hat die mittlere Generation noch mit verhaltener Zuversicht nach vorn geschaut. Nur zwölf Monate später ist der Optimismus vollends verflogen. Der Krieg in der Ukraine, die anhaltend hohe Inflation und die Energieknappheit lassen die 30- bis 59-Jährigen mit großer Sorge vor dem wirtschaftlichen Abstieg auf die kommenden Monate blicken.
„Die ‚Generation Mitte‘ ist durch die aktuellen Krisen und deren wirtschaftliche Folgen stärker verunsichert als durch die Corona-Pandemie“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Im Auftrag der Versicherer befragt das Institut für Demoskopie Allensbach jedes Jahr die 30- bis 59-jährigen Menschen in Deutschland.
„Beispielloser Stimmungseinbruch“
In ihrer Untersuchung für den GDV kommen die Meinungsforscher zu einem alarmierenden Befund: Mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Befragten schaut mit großen Befürchtungen auf die kommenden Monate, weitere 27 Prozent mit Skepsis.
„Das ist ein beispielloser Stimmungseinbruch“, resümiert Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach. „Auch im vergangenen Jahr und insbesondere im ersten Pandemiejahr 2020 waren die Menschen besorgt, aber sie waren nicht annährend so pessimistisch wie jetzt.“
Nachdenklich stimmt Asmussen insbesondere der fatalistische Blick der mittleren Generation auf die aktuelle ökonomische Lage: „Drei Viertel der Befragten rechnen für das kommende halbe Jahr mit einem wirtschaftlichen Abwärtstrend. Und auch mittelfristig erwartet die Mehrheit keine Besserung, sondern eine längerfristige Schwächephase.“
Im Langfristvergleich erstmals mehr Pessimisten als Optimisten
Noch augenfälliger wird der Pessimismus im Langfristvergleich der persönlichen wirtschaftlichen Situation. Hier ziehen 38 Prozent die Bilanz, dass es ihnen heute schlechter geht als vor fünf Jahren; lediglich 33 Prozent sind der Ansicht, es geht ihnen besser.
„Damit überwiegen zum ersten Mal seit Beginn der ‘Generation Mitte’-Befragung 2013 Wohlstandseinbußen gegenüber Wohlstandsgewinnen“, so Asmussen. „Selbst in den beiden Pandemiejahren war in diesem Vergleich der Anteil der Optimisten doppelt so groß wie der Anteil der Pessimisten.“
Ganz konkret drückt sich diese Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg in der Sorge vor steigenden Preisen aus. „Für 85 Prozent der Befragten ist das der größte Sorgenpunkt“, sagt Asmussen. 56 Prozent befürchten, dass sie wegen der Inflation in finanzielle Schwierigkeiten geraten könnten und 45 Prozent, dass dadurch ihre Ersparnisse entwertet werden.
Erhebliche Einschränkungen im Konsumverhalten
Heruntergebrochen auf ihren Alltag bedeutet die anhaltend hohe Teuerung für die große Mehrheit der „Generation Mitte“, dass sie sich in ihrem Konsumverhalten einschränken muss. Knapp die Hälfte spricht sogar von erheblichen Einschränkungen. Besonders hart getroffen fühlen sich die Befragten von den Preissteigerungen bei Lebensmitteln (82 Prozent) und Heizkosten (74 Prozent). „Als Reaktion auf die Inflation kaufen die Befragten jetzt preisbewusster ein“, so Asmussen.
Neben der Inflation beunruhigt die mittlere Generation vor allem die Sicherheit der Energieversorgung. Kurzfristig wird die Versorgungslage zwar entspannter gesehen als noch vor wenigen Wochen. Die Sorge vor Versorgungsengpässen im bevorstehenden Winter ist zurückgegangen. „Der Mehrheit ist jedoch bewusst, dass die Sicherung der Energieversorgung auch im kommenden Jahr eine große Herausforderung bleibt“, sagt Asmussen.
Aufforderungen zum Energiesparen treffen jedoch vielfach auf Skepsis. Die große Mehrheit der mittleren Generation sieht bei sich persönlich kaum Spielraum für Einsparungen. Nur 7 Prozent sehen erhebliche, 69 Prozent nur geringe und 22 Prozent überhaupt keine Einsparpotentiale.
Mittlere Generation sieht den Staat in der Pflicht
Vor diesem Hintergrund halten die 30- bis 59-Jährigen nichts davon, auf eine Dämpfung der Preiseffekte in Form staatlicher Entlastungspakete zu verzichten, um dadurch Energiesparanreize zu setzen. „Eine sehr große Mehrheit von 83 Prozent votiert dafür, dass der Staat den Bürgern bei den Energiekosten unter die Arme greift“, so Asmussen. „Nur fünf Prozent vertreten die gegenteilige Position.“
Dabei zeigt sich: Die mittlere Generation sieht auf der einen Seite den Staat in der Pflicht, die Auswirkungen von Inflation und Energieknappheit so gering wie möglich zu halten. Fast zwei Drittel sehen dies als staatliche Aufgabe. Nur 25 Prozent halten das für eine überzogene Erwartungshaltung.
Zugleich sind viele Befragten skeptisch, ob die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen zur Krisenbewältigung richtig sind: Lediglich 14 Prozent haben großes oder sehr großes Vertrauen, dass die Maßnahmen greifen. Dagegen haben drei Viertel der Befragten wenig oder kein Vertrauen ins Krisenmanagement der Regierung.
„Entlastungsprogramme reichen nicht aus“
Nichtsdestotrotz fordert eine große Mehrheit der „Generation Mitte“ (78 Prozent) eine Ausweitung der staatlichen Entlastungsprogramme zur Inflationsbekämpfung. Nur acht Prozent halten die bisherigen Maßnahmen für ausreichend. Und nach dem mehrheitlichen Willen der Befragten (56 Prozent) sollen die finanziellen Entlastungen auch weiterhin der Gesamtbevölkerung zugutekommen. Nur 37 Prozent plädieren dafür, vor allem sozial Schwächere zu entlasten.
Dazu passt, dass nur eine kleine Minderheit der Befragten den Eindruck hat, dass ihr die Maßnahmen der Regierung persönlich Vorteile bringen. Lediglich 5 Prozent der „Generation Mitte“ ziehen diese Bilanz, während 42 Prozent Nachteile sehen. „Zuletzt waren vor 20 Jahren ähnlich kritische Ergebnisse zu verzeichnen, als die damalige rot-grüne Regierung auf die Wachstumsschwäche mit der Agenda 2010 reagierte“, sagt Köcher.
Insgesamt haben die 30- bis 59-Jährigen heute vielmehr als noch vor einem Jahr den Eindruck, dass ihre Interessen von der Bundesregierung nicht ausreichend berücksichtigt werden. Während das Stimmungsbild vor einem Jahr geteilt war, haben heute nur noch 14 Prozent den Eindruck, dass die Regierung die Interessen der mittleren Generation ausreichend berücksichtigt. 61 Prozent erheben dagegen den Vorwurf, dass ihre Interessen nur unzureichend berücksichtigt werden.
Auch wenn die „Generation Mitte“ alles andere als zuversichtlich auf die kommenden Monate schaut: Der GDV-Hauptgeschäftsführer rät dazu, die Umfrageergebnisse einzuordnen: „Die Sorgen vor Inflation und hohen Energiekosten sind berechtigt und in vielen Fällen sicher für den Einzelnen auch schwer verkraftbar“, so Asmussen. „Für die deutsche Wirtschaft insgesamt sind die kurzfristigen Folgen aber womöglich weniger dramatisch als bislang befürchtet. Der Oktober war wärmer als erwartet, die Gasspeicher sind gefüllt und die Konjunkturentwicklung war im dritten Quartal überraschend knapp positiv.“
Über die „Generation Mitte“
Die mehr als 35 Millionen 30- bis 59-Jährigen in Deutschland stehen mitten im Berufsleben, erziehen Kinder und finanzieren die sozialen Sicherungssysteme. Sie stellen 70 Prozent der Erwerbstätigen dar und erwirtschaften über 80 Prozent der steuerpflichtigen Einkünfte. Die „Generation Mitte“ ist damit im wahrsten Sinne des Wortes der „Leistungsträger“ unserer Gesellschaft.
Der GDV beauftragt das Institut für Demoskopie Allensbach seit 2013, dieser breiten Bevölkerungsschicht einmal jährlich den Puls zu fühlen und ihre Einstellungen, Erwartungen und Ängste zu erforschen. Für die repräsentative Untersuchung Generation Mitte 2022 haben die Demoskopen zwischen Ende September und Anfang Oktober insgesamt 1.050 Männer und Frauen im Alter zwischen 30 und 59 Jahren befragt.